Episode 4: Klappe zu, Affe tot – wieso, bitte, stirbt ein Affe?
Eine Bekannte von mir machte vor einiger Zeit eine Bemerkung zur deutschen Sprache, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist. Es ging um Redewendungen. Meine Bekannte ist persische Muttersprachlerin, aber in Deutschland groß geworden, hat hier studiert und gearbeitet. Kurz: Sie hört sich komplett deutsch an. Deswegen fand ich es überraschend, als sie erzählte, dass es im Deutschen einen Bereich gibt, der sich komplett ihrem Verständnis entzieht. Eigentlich fühle sie sich in diesem speziellen Gebiet nur von einer französischstämmigen Freundin so recht verstanden. Als Nicht-Muttersprachlerin gehe es dieser nämlich genauso gehe wie ihr: Was deutsche Redewendungen angehe, fänden sie beide, die seien komplett rätselhaft! – Ich war ganz Ohr.
Meine Bekannte erklärte: „Ich habe Deutsch von Kindheit auf gelernt, ich fühle mich kompetent und sicher. Aber wenn es um Ausdrücke mit Tieren geht, dann bin ich komplett raus. Sowas wie ‚aus die Maus‘ kann ich ja noch hinnehmen. Da ist der Klang lustig, das sagt man zu Kindern. Aber ansonsten verwirren die Tiere in der deutschen Sprache mich total und ich kann mich nie erinnern, welches Tier grad in den Ausdruck passt. Zum Beispiel ‚Klappe zu, Affe tot.‘ Wieso, bitte, stirbt ein Affe?“ Einige Gedanken zum weiten Feld sprachlicher Ausdrücke mit Tieren sollen also heute das Thema sein.
So ganz fremd war mir die Redewendung-Problematik nicht. Eine gewisse Verwirrung mit Tieren in der Sprache kannte ich aus meiner eigenen Erfahrung als Spanisch-Lernende: Wieso beißt sich in Spanien der Fisch in den Schwanz, wenn es um ein sich selbst verstärkendes Problem oder einen Teufelskreis geht und wieso tun das bei uns die Katze oder der Hund? Das habe ich bis heute nicht verstanden. Aber Grundlegendes zuerst - was ist denn eigentlich eine Redewendung, was ein Sprichwort, und warum sind diese in fremden Sprachen so schwierig?
Idiomatische Wendungen
Als idiomatischer Ausdruck oder Redewendung wird eine Fügung aus mehreren Wörtern bezeichnet, deren Inhalt man erlernen muss wie eine Vokabel, weil er sich nicht ohne Weiteres erschließen lässt, selbst wenn man jedes einzelne Wort versteht. Das heißt, manche Ausdrücke lassen sich mit etwas Lebenserfahrung, Fantasie und mit entsprechendem Kontext doch entschlüsseln (so ein Ausdruck gilt als motiviert): Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, ein Pferd beim Schwanz aufzäumen oder sich in die Höhle des Löwen wagen kann man deuten als man soll keine voreiligen Schlüsse ziehen, eine Sache von der falschen Seite angehen, mutig sein. Bei anderen Ausdrücken fällt das Verstehen schwerer (die Bedeutung ist obskur). Dazu einige Beispiele:
„Ich glaub‘ ich muss die Fische füttern.“ Auf einem Schiff bei starkem Seegang von einer Person mit grau-grünlicher Gesichtsfarbe gesagt, kann man darauf kommen, dass diese Person sich gleich übergeben muss. Die sprechende Person wählt aber kein umgangssprachliches „mir ist schlecht – ich glaub‘ ich muss kotzen“ oder ein gewähltes „ich fürchte, ich muss mich übergeben“, sondern entscheidet sich dazu, den auf einem Schiff erbärmlichen Tatbestand der Nicht-Seefestigkeit humorvoll durch eine maritim angehauchte Redewendung auszugleichen.
„Sei kein Frosch!“ Dies ist ein Zuruf, mit dem energische Ermutigung zu einer Handlung ausgedrückt wird. Und zwar, wenn die angeredete Person sich in einer Stimmung des Zweifelns oder Zögerns vor dieser Handlung befindet. Je nach Kontext und Ton kann dieser Zuruf als schamzuweisendes Drängen oder als gutwilliges Mut machen verstanden werden.
Das Wörterbuch der deutschen Idiomatik Redewendungen (Duden Band 11, 2013, Seite 239) liefert als Erklärung „Die Redensart bezieht sich auf die Schreckhaftigkeit des Frosches“. Der Online-Duden (Aufruf: 18.06.2025) führt unter dem Stichwort Frosch in der Rubrik: Wendungen, Redensarten, Stichwörter auf: „- sei kein Frosch! (umgangssprachlich: sei kein[e] Spielverderber[in], zier dich nicht so!; vielleicht nach dem Verhalten des Frosches, der bei Gefahr ins Wasser springt und sich dort verbirgt)“.
Im Kontrast dazu steht die Erklärung von Karl Friedrich Wilhelm Wander in seinem Werk von 1867: Deutsches Sprichwörter-Lexicon. Wander verzeichnet 109 Einträge zum Stichwort Frosch. Eintrag 108 lautet: „Sei kein Frosch! (Breslau.) Um zu sagen: Sei nicht so einfältig!“ Also sei nicht dumm oder kindisch. Von ängstlichen Fröschen schreibt Wander nicht. Womöglich hat in rund 160 Jahren seit Wanders Sammlung ein Bedeutungswandel stattgefunden – oder die Bedeutung war schon damals variabel und nur eine ist erfasst worden. (Wer diese interessante Quelle selber nutzen will, sei an das Wörterbuchnetz verwiesen: https://woerterbuchnetz.de/?sigle=Wander&lemid=F00876)
Den wenigsten von uns dürfte das im Duden beschriebene Froschverhalten vor Augen stehen, wir haben die Bedeutung des Ausdrucks einfach als Ganzes erlernt. Sonst würde dieser Zuruf ja auch bei muttersprachlich deutsch Sprechenden regelmäßig für Verwirrung stiften, beispielsweise wenn eine zögerliche Person am Rande eines Schwimmbeckens mit den Worten „Sei kein Frosch!“ zum Sprung ins Wasser aufgefordert wird.
Jemand habe „Schwein gehabt“ ist ein Kommentar, der ausdrückt, dass eine Person sehr viel Glück gehabt hat. (Bei Wander ist dieser Ausdruck unter 223. von den 264. Einträgen zum Lemma Schwein zu finden.) Mein o.g. Duden Band 11 merkt hierzu auf Seite 677 an, dass die Herkunft dieses Ausdrucks nicht sicher bekannt sei. Er legt aber die Vermutung nahe, der mittelalterliche Brauch, ein Schwein bei Wettkämpfen als Trostpreis zu schenken, könnte hier der Ursprung sein. Der Online-Duden fügt noch eine Bedeutungskomponente hinzu (18.05.2025): „wer das Schwein bekam, erhielt etwas, ohne es eigentlich verdient zu haben“.
Warum die Wendung „jemandem einen Bären aufbinden“ (also jemandem eine Lügengeschichte glaubhaft machen) vermutlich gar nichts mit Bären zu tun hat, lasse ich für diesmal dahingestellt, bis ich mir eines Tages das Thema Volksetymologie vorknöpfe.
Etymologie
Um die Bedeutung eines Wortes genauer zu verstehen, ist der Begriff der Etymologie nützlich, ebenfalls Wortherkunft genannt. Das Wort Etymologie ist ein alter Begriff, an dessen Entwicklung selbst sehr viel über die Geschichte der Disziplinen Philosophie und Philologie gelernt werden kann. Es ging nämlich, als das Wort Etymologie noch jung war, um das Erkennen einer natürlichen Wahrheit, die angeblich jedem Wort innewohnen sollte. Nach heutigem sprachwissenschaftlichen Verständnis bezeichnet Etymologie das Studium der Herkunft und Entwicklung von einzelnen Wörtern. Festgehalten werden Erkenntnisse über den Ursprung eines Wortes, seine Bedeutung, Verwendung und seinen Klang in etymologischen Wörterbüchern.
Das Wort Etymologie wird in einem engeren Sinne ebenfalls für die Erkenntnisse zur Geschichte eines spezifischen Wortes verwendet. Diese Wortgeschichte einzelner Wörter liefert mitunter eindrucksvolle Beispiele für Gewohnheiten, Kulturtechniken oder Ansichten aus der Vergangenheit. Die Etymologie eines idiomatischen Ausdruckes erklärt entsprechend die Herkunft und Entwicklung eines komplexen Ausdruckes und kann interessante geschichtliche Hintergründe ans Licht bringen. Deswegen mag ich etymologische Wörterbücher und Redewendungen sehr. Es gibt allerdings auch höchst phantastische und widersprüchliche Etymologien, so dass ich grundsätzlich recht kritisch gegenüber spektakulären Herkunftserklärungen bin.
Der spanische Schriftsteller Xavier Marias schien diese Meinung zu teilen. In seinem Roman Allerseelen (Todas las almas, 1989) lässt er seinen Romanhelden und Ich-Erzähler – einen madrilenischen Literaturprofessor, der als Gastdozent in Oxford Spanisch unterrichtet – aus Bequemlichkeit wilde Etymologien seiner Muttersprache erfinden, statt sie vor seinem Unterricht mühsam nachzuschlagen. Die passive Leichtgläubigkeit seiner Studierenden verleitet den Ich-Erzähler zu zunehmend verschwurbelteren und unglaubwürdigen Fantasie-Etymologien. Was, wie er peinlicherweise später herausfindet, nicht ganz unbemerkt bleibt.
Sprichwörter
Ein Sprichwort versteht sich als eine fest gefügte Aussage zu einer Situation oder zu einem Sachverhalt. Oft beinhaltet ein Sprichwort eine Weisheit oder eine Lebenserfahrung. Nicht immer sind dabei Sprichwörter von Zitaten zu unterscheiden, beide werden von einer Grauzone getrennt, die Zitate enthält, die nicht mehr ohne Weiteres den Werken oder Personen zugeordnet werden, von denen sie stammen.
Ein gutes Beispiel stellen die vielen Aussprüche dar, die aus der Bibel ihren Weg in die Alltagssprache gefunden haben. Oft ist gar nicht bekannt, dass ein Sprichwort aus der Bibel stammt. Sprichwörtlich gewordene Bibelzitate mit Tieren sind beispielsweise im Evangelium nach Matthäus zu finden:
Wenn von einem „Wolf im Schafspelz“ die Rede ist, handelt es sich um einen Täter, der sich als harmlos oder sogar als Opfer verkleidet. Das ist auch ohne Bibelkenntnisse nachvollziehbar. Dieser Ausdruck stammt aus Matthäus (7, 15), wo vor falschen Propheten gewarnt wird, die in Schafsgewändern daherkämen, darunter aber wie reißende Wölfe seien. Auch „Perlen vor die Säue werfen“ (Matthäus 7, 6) kann ohne große Mühe als Verschwendung von etwas Wertvollem an Unwürdige verstanden werden.
Der folgende Ausspruch wird oft nur halb zitiert und dann individuell ergänzt. Es handelt sich um die radikale Aussage von Jesus „eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Reich Gottes kommt“ und ist bei Matthäus zu finden (19, 25) sowie bei Markus und Lukas. Auch im Koran gibt es eine ähnliche Formulierung (7:40). Der erste Teil der Aussage wird in kreativer Sprache gerne mit einer anderen Aussage verbunden, die durch diese Nebeneinanderstellung als (sprichwörtlich) unmöglich dargestellt wird. Es entsteht ein Vergleich, der im zweiten Satzglied eine Aussage über etwas Unwahrscheinliches enthält: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass Barbara auf ihren Nachtisch verzichtet.“ Anders gesagt: Dass Barbara auf ihren Nachtisch verzichtet, ist extrem unwahrscheinlich. Durch die Größendifferenz zwischen Kamel und Nadel ist es möglich, auch ohne Bibelwissen die so konstruierten Aussagen zu verstehen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie phantasievoll und spielerisch Sprache sein kann.
Beim „Tanz um das goldene Kalb“ (2 Mose 32) wird es schon schwieriger mit dem Verständnis, der Ausdruck muss als idiomatische Wendung gelernt werden. Interessierte aber bibelunkundige müssen sich den Kontext erst erlesen. Laut Bibel erschufen sich die Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten ein goldenes Kultbild (im Originaltext einen goldenen Stier), das sie anbeteten, während ihrem Anführer Mose auf dem Berg Sinai Gottes Wort offenbart wurde. Wenn von einem solchen Tanz die Rede ist, wird im weitesten Sinne eine falsche Setzung von Prioritäten kritisiert, die einhergeht mit einer sehr negativen Bewertung dieser Prioritäten.
Phraseme
Die oben genannten idiomatischen Wendungen und auch die Sprichwörter fasst man unter dem Begriff Phraseme zusammen. Erforscht werden sie entsprechend in der Phraseologie (wenn sich die Untersuchung auf Sprichwörter beschränkt, ist von Parömiologie die Rede, Wanders Sprichwörterbuch könnte man dementsprechend als Parömiakon bezeichnen). Phraseme (auch Phraseologismen genannt) bilden einen wichtigen Bestandteil des Wortschatzes einer Sprache. Sie sind vielfach nur schwer zu übersetzen. Das gilt besonders, wenn sie sprachspielerisch-kreativ benutzt werden, wie eben beim Vergleich mit dem Nadelöhr angedeutet. In diesem Beispiel ist allerdings durch die Herkunft aus der Bibel wahrscheinlich, dass es in der Zielsprache dasselbe Sprichwort auch gibt, jedenfalls, wenn es in dieser eine christliche Tradition gibt (deswegen sollte bei der Übersetzung eines Bibelzitates wie bei literarischen Zitaten die in der Zielsprache jeweils verbreitetste Übersetzung beachtet werden).
Ein weiteres, etwas konstruiertes Beispiel für eine Sprachspielerei wäre, wenn ein Tier aus einem Phrasem bei einem Redeanlass durch ein Tier ersetzt wird, das in dem Kontext der Äußerung zufällig eine Rolle spielt. Etwa, falls im Zusammenhang mit einem sich selbst verstärkenden Problem ein Papagei vorkäme, diesen für Katze oder Hund zu ersetzen. Also: „Da beißt sich der Papagei in den Schwanz!“ Das kann witzig sein – vorausgesetzt natürlich, die originale idiomatische Wendung ist der Hörerschaft bekannt.
Interessant finde ich, dass die deutschen Versionen mit Hund oder Katze, die sich in den Schwanz beißen, durchaus nachvollziehbar sind. Gerade Jungtiere tun dies häufig beim Spielen. Einen Fisch habe ich – auch bei langjährigem Interesse an aquatischer Zoologie – nie dabei beobachtet, wie er seinen eigenen Schwanz jagt. Da muss ich echt mal eine Fachperson aus dem Fischereiwesen anfragen … Mein spontaner etymologischer Erklärungsversuch à la Xavier Marias ist: Das liegt an den Römern, die in ihren Mosaiken und auf Münzen gerne sich in den Schwanz beißende Fische abbildeten. Die haben sich wortwörtlich im Kreis gedreht. Das hat im damaligen Hispanien Eindruck gemacht und sich dadurch in der spanischen Sprache niedergeschlagen. [Achtung: Mumpitzalarm!]
Wieso stirbt ein Affe?
Damit wären wir nun wieder bei der anfangs gestellten Frage, warum ein Affe stirbt. Ich gebe es lieber gleich zu: Meine Suche nach einer wirklich überzeugenden Etymologie der Wendung „Klappe zu, Affe tot“ erbrachte keine spektakulären Ergebnisse. Eine Erklärung des Dudens Redewendungen erschien mir recht weit hergeholt und eröffnete ebenso viele Fragen, wie sie beantwortete. Also wühlte ich in verschiedenen Quellen nach überzeugenderen Erklärungen, fand unbefriedigende weitere Ansätze und muss schließlich die Redewendung in meine große mentale Zwischenablage legen, die mit der Überschrift ‚möglich, müsste aber noch besser belegt bzw. glaubwürdiger dargestellt werden‘. Am Rande fand ich aber zufällig eine Erzählung, die wenigstens die Erklärung des Dudens etwas plastischer machte – auch wenn sie kulturell, geographisch und auch vom Genre her wirklich sehr weit hergeholt ist.
Doch erst einmal zum Inhalt. Der Ausdruck „Klappe zu, Affe tot“ wird heute als abschließende Bemerkung einer Diskussion oder einer Angelegenheit verwendet. Im Sinne von „und nun ist aber wirklich Schluss“. Ihm kann ein gewisser Unwille über Inhalt oder Form der Debatte bzw. des Vorgangs anhaften, verbunden mit der Abneigung, weitere Zeit hierin zu investieren.
Die Wortgeschichte ist bislang nicht sicher belegt. Das Wörterbuch der deutschen Idiomatik (Duden Band 11, Redewendungen von 2008, Seite 419) verweist auf den Brauch, Affen als Attraktion im Zirkus zur Schau zu stellen. Zu Werbezwecken wurde dieser Affe schon beim Kassenhäuschen zur Schau gestellt und zwar in einem Holzkasten. Wenn der Affe starb, fiel die Zirkusvorstellung aus. Die Klappe blieb zu, so der Duden.
Hierzu habe ich Fragen. Wer Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf kennt (Kapitel 7: Pippi geht in den Zirkus), weiß, dass es im Zirkus früher Clowns gab, auf dem Seil getanzt wurde, und ein schönes Mädchen sowie ein starker Mann auftraten (der „starke August“; nebenbei bemerkt: Pippi war natürlich stärker). Noch viel früher waren Zirkusse eine Art Wanderausstellung einzelner Buden mit exotischen Tiere, wie Schlangen oder Löwen. Auch Menschen wurden in diesen Menagerien zur Schau gestellt. Kurz, es gab ein vielfältiges Angebot an Attraktionen. Ich finde es deshalb als Geschäftsmodell unglaubwürdig, dass ein Zirkus von einer einzigen Attraktion gelebt haben könnte – einem Äffchen, das in eine kleine Holzkiste passte (der Duden ist da bemerkenswert spezifisch). Wieso fiel also die Vorstellung aus, wenn der Affe starb? Das klingt im Duden wie ein regelmäßiges Vorkommnis. Auch das erregt meine Zweifel. So ein Tier war doch sicher wertvoll und wurde entsprechend gepflegt. Schon eher könnte ich mir ausmalen, dass der Tod des Zirkusaffen ein schlechtes Omen war, weswegen die Mitglieder des Zirkus bei seinem Tod vielleicht nicht auftreten wollten. Hmm.
Wander führt in seinem Sprichwörterlexikon 174 Einträge zum Schlagwort „Affe“ auf (die sich teils wiederholen). Nichts steht hier zum Tod eines Affen. Seine Erklärung zu „eine Klappe aufmachen“ eröffnet zwar Raum für Fantasie – liefert aber keine Erklärung. Wander schreibt: „In Berlin sagt man, die Polizei mache eine Klappe auf, wenn sie bei Haussuchungen zwar jeden in das betreffende Haus herein, aber niemand wieder hinauslasse. (Breslauer Zeitung, 1863, Nr. 518, S. 2715.)“ Das Grimm’sche Wörterbuch erläutert entsprechend unter „Klappe“, dass damit auch eine Falle gemeint sein konnte (https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=K06388; 18.06.2025). Könnte das Sprichwort also auf einen Polizeieinsatz gemünzt worden sein: Kriminellen wurde eine Falle gestellt und die betreffende Angelegenheit war damit erledigt? Affe bezöge sich dann entweder auf die Personen oder auf den Fall, tot wäre tot oder erledigt. Hier lasse ich meiner Fantasie weiten Lauf …
In einer schweizerischen online Zeitschrift fand ich den Verweis auf eine mögliche Herkunft von Affe aus apel (das sei niederdeutsch für offen), was dann mit einem Tier gar nichts zu tun hätte. Leider fehlten Quellenangaben oder weitere Erläuterungen zum Verständnis (https://www.suedostschweiz.ch/leben-freizeit/sowas-warum-die-redewendung-klappe-zu-affe-tot-einen-traurigen-ursprung-hat; 16.01.2024; sehr ähnlich steht es beim SWR: https://www.swr.de/kultur/sprache/woher-kommt-klappe-zu-affe-tot-110.html; 29.07.2025). Apel als offen konnte ich über verschiedenste Quellen nicht bestätigen (das Digitale Wörterbuch Niederdeutsch https://www.niederdeutsche-literatur.de/dwn/index.php enthält lediglich åpen).
Was für mich zumindest die Figur des ausgestellten Affen ein Stück plastischer gemacht hat, ist die Schilderung eines solchen Affen, wie ich sie in einer Schauergeschichte fand. In ihrem englischsprachigen Podcast „Uncanny Japan“ trägt Thersa Matsuura seit 2017 Wissenswertes über japanische Bräuche, Sprache und Aberglauben zusammen. Ein Muss für Anime-Fans, die mehr über Kami, Yokai, Oni und so weiter lernen wollen. In den neueren Episoden bietet Matsuura Texte aus dem Genre der romantischen Schauerliteratur über Japans Geisterwelt an, ältere und von ihr selbst geschriebene. Eine ihrer Horror-Erzählungen ist die vom Affen Fokumimi, Episode 159: Go-Away Monkey (https://uncannyjapan.com/?s=159).
In dieser Geschichte tritt ein Scharlatan auf, der mit einem Affen in ein abgelegenes Dorf kommt. Hier will er einer zombieartigen Menge von hungernden und halbverrückten Pockenopfern die allerletzten Besitztümer aus der Tasche gaunern. Und zwar mit Hilfe eines Affen, den er seinen Zuschauern als Reinkarnation einer Gottheit verkauft, die ihnen einen Wunsch erfüllt. Den Affen hält er an einer Leine und misshandelt ihn, was nur einem kleinen Mädchen auffällt, durch dessen Augen wir die Geschichte erleben. (Wenn Ihr mehr wissen wollt, hört Euch Episode 159 an oder lest sie in Matsuuras Buch The carp faced boy. Aber seid gewarnt: Go-Away Monkey ist nichts für Zartbesaitete – es ist eine Horrorgeschichte und Thersa Matsuura Meisterin ihres Faches!)
Das folgende Bild von einem angeleinten Affen fiel mir zufällig auf dem Foto eines vergoldeten Deckelpokals von ca. 1590 aus dem Schatz des Zaren Michail Fjodorowitsch auf. Zu dieser Zeit waren Affen ein Europa vermutlich noch eine große Rarität, die nur die Superreichen der Zeit halten konnten und die noch nicht für eine breitere Allgemeinheit ausgestellt wurden.
Darstellung eines Affen auf einem vergoldeten Silberpokal aus dem Besitz Zar Michail Fjodorowitschs, gefertigt vom Augsburger Künstler Paul Hiebner (Paulus Hübner) 1590-95 (Zeichnung von @y0sketch ©2025).
Auch diese frühe Darstellung eines gefangenen Affen passt nicht ganz zum sprichwörtlich gewordenen Jahrmarktsaffen, der zu kommerziellen Zwecken ausgestellt wurde und laut Duden die Quelle des fraglichen idiomatischen Ausdrucks ist.
Eine Vermutung auf der Webseite des Radiosenders RPR1. (ohne Namen), die gerade erst vorgestern ausgestrahlt wurde, lieferte eine Perspektive auf die Zirkus-Etymologie, die ich bislang am besten nachvollziehbar finde: „Symbolisch konnte der Affe in der Kiste aber auch das Ende der Vorstellung oder des Auftritts bedeuten. Somit war die Aussage „Klappe zu, Affe tot“ ursprünglich humorvoll gemeint, um das Ende einer Darbietung oder eines Ereignisses zu kennzeichnen.“ (https://www.rpr1.de/magazin-ratgeber/leben-alltag/redewendungen-sprichwoerter-die-in-vergessenheit-geraten vom 29.07.2025) Laut dieser Interpretation könnte tot auch im Sinne des heutigen kaputt, fertig, todmüde verstanden werden. Der Affe ist müde, aus die Maus, geht ihr nach Haus! Das gefällt mir viel besser.
Ich werde versuchen für Euch herauszufinden, auf welchen Quellen diese letzte Erklärung basiert oder ob auch sie ein – durchaus überzeugendes – Fantasiegespinst im Sinne von Xavier Marias ist.
Bis dahin aber bleibt die Erklärung des Ausdrucks „Affe tot, Klappe zu“ ein Rätsel. Tut mir leid!
Sachdienliche Hinweise belesener Zirkus-Experten und Wandermenagerie-Fans sowie alternativ weitere fantasievolle Erklärungen zur Herkunft des Ausdrucks „Klappe zu, Affe tot!“ nehme ich gerne per E-Mail, Post oder WhatsApp entgegen und werde sie hier teilen. Um genaue Kennzeichnung als etymologischer Hinweis oder freie Fantasie wird jeweils gebeten.