Episode 3: Interessiert mich nicht die Bohne?

Eigentlich sollen ja vorrangig andere etwas lernen, wenn sie für ein Coaching oder eine literarische Veranstaltung zu mir kommen. Und dass man beim Lehren selber am meisten lernt, ist eher eine Binsenweisheit, die nicht groß besungen werden muss. Aber vor kurzem hatte auch ich als Veranstalterin und Lehrende bei meinem literarischen AfternoonTea ein Augenöffner-Erlebnis inklusive vergnüglichen Eintauchens in eine Kette verzettelter Recherchen (das berüchtigte ‚rabbit hole‘). Das war so unterhaltsam, dass ich diese Erfahrung hier teilen möchte.

Mein theoretisch-praktisch-unterhaltendes Event drehte sich literarisch um das bekannte englische Märchen “Jack and the Beanstalk” (deutsch: Hans und die Bohnenranke) und dessen vielfachen Widerhall in der britischen Kultur. Gärtnerisch ging es darum, was man beim Säen verschiedener Saaten beachten muss und ich hatte passend zum Märchen viel Wissenswertes zum Thema Bohnen zusammengetragen. Und natürlich Anschauungsmaterial und Saaten zum Selbersäen. Das alles stilvoll bei einem traditionellen britischen Afternoon Tea mit Scones, Crumpets und Cucumber Sandwiches.

Afternoon Tea zum Thema “Jack and the Beanstalk”

Historisch vergleichende Linguistik zur Unterhaltung?

Wenn ich über Literatur und Sprache rede, ist mir vor allem wichtig, Zusammenhänge herzustellen und Zuneigung und Gespür für die jeweilige Zielkultur, also meistens die englische oder deutsche Sprache, zu fördern. Das ist bei „Jack and the Beanstalk” nicht schwer, denn der dreimal wiederholte Vers von Jacks Antagonisten, dem bösen Riesen, wird schon von Shakespeare zitiert: „Fee, fie, foe, fum - I smell the blood of an Englishman!“ Wörtlich wäre das: „Fee, fie, foe, fum – ich rieche das Blut eines Engländers!“ Das wird in deutschen Übertragungen von „ Hans und die Bohneranke” gerne in Reimform gebracht, z.B. „Fi, fei, fo, fann, ich rieche das Blut von ‘nem kleinen Mann!”

Das Märchen gehört bis heute zu den Geschichten, die gerne weitererzählt werden und die in der Wintersaison als ‚Panto‘ (kurz für Pantomime) in Großbritannien auf die Theater- und Musicalbühnen kommen. Die einzelnen Elemente des Märchens, wie z.B. ein goldene Eier legendes Huhn, sind weit bekannt. Pantos sind übrigens Theatervorstellungen ähnlich den deutschen Weihnachtsmärchen. Sie sind aber ausgelassener als die traditionellen, eher ernsten deutschen Weihnachtstheater meiner Kindheit, mit deutlich mehr Zuschauerbeteiligung und dem wesentlichen Phänomen des Crossdressing.

Die kleine Henne mit den goldenen Eiern …
(Ein Stunt-Huhn wurde für die Vorbereitung benutzt und das gefiederte Modell wurde für das Foto-Shooting mit Erbsen und Sonnenblumenkernen übertariflich vergütet.)

Bei aller Liebe zum weiteren Zusammenhang gehe ich außerhalb der Uni selten auf Details der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft ein. Dabei ist die frühe Forschung von William Jones (18. Jahrhundert) zur Verwandtschaft von Sanskrit, Griechisch, Persisch und Germanisch oder August Schleichers „Stammbaumtheorie“ aus der Mitte des 19. Jahrhunderts (ungefähr zeitgleich mit Charles Darwins „Origin of Species“ von 1859) ein hochinteressantes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte. Zugegebenermaßen ist dies bei einem literarischen Tee sehr weit hergeholt. Eine Tatsache finde ich dennoch manchmal erwähnenswert, nämlich, dass es in Sprachfamilien urverwandte Wörter gibt, sogenannte Kognaten, die in allen Sprachen einer Familie oder Unterfamilie ähnlich zu finden sind, weil sie schon sehr lange zu einem gemeinsamen Wortschatz gehören. Diese Verwandtschaft führt vor Augen, wie viel man alleine aus dem kleinen Wortbestand der kognaten Wörter über die Umstände der Sprechenden der jeweiligen Sprachfamilie ablesen kann. Im Falle Englisch-Deutsch handelt es sich um die indoeuropäische Sprachfamilie.

An den Kognaten sehen wir interessante Gemeinsamkeiten der indoeuropäischen Sprachen, angefangen von den Wörtern für Familienmitglieder (Mutter, Vater, Tochter, Sohn, Schwester, Bruder usw.) über Wörter für Landwirtschaft (pflügen, melken) bis hin zu Wörtern für Tiere (Hund, Katze, Kuh, Schwein, Aue – veraltet für Mutterschaf, heute noch im Englischen als ewe erhalten).

Down the rabbit hole: Bohnenarten, Bohnensorten, Bohnenamen

Und das war der Moment bei der Recherche, an dem ich wieder einmal der Freude an sprachlichen Phänomenen erlag: Ich fand in einem Text über Bohnen den Vermerk, das Wort sei eine Kognate der westgermanischen Sprachen (bekannte Vertreter: Englisch, Deutsch, Niederländisch, Afrikaans). Nicht nur Verwandtschaftsbezeichnungen oder Techniken des Ackerbaus und der Viehhaltung teilten also unsere Vorfahren. Auch den Verzehr von Bohnen. Zusätzlich haben viele Völker weltweit bis heute die etwas gespaltene Beziehung zur bescheidenen aber zuverlässigen Leguminose gemeinsam, die leicht anzubauen ist und viel zu bieten hat. Das zeigt sich an einer Fülle von Namen für jeweils ein und dieselbe Bohnensorte sowie erheiternden weiterführenden Themen. So begann meine Entdeckungsreise in die wunderbare Welt der Bohnen.

Vicia faba mit Hummel

Als Bohnen werden die Früchte ganz verschiedener Pflanzengattungen bezeichnet, z.B. die Alte-Welt-Bohne Vicia faba, deutsch Ackerbohne. Dann die in Asien und Afrika weitverbreiteten ebenfalls altweltlichen Bohnen der Gattung Vigna (z.B. die Arten Mungbohne, Adzukibohne). Auch die ökonomisch bedeutenden sehr weitverbreitete Neue-Welt-Bohnen der Gattung Phaseolus, häufig vertreten durch die Art Phaseolus vulgaris. All diese, auch Erbsen und Linsen, bilden zusammen die Gruppe der Leguminosen. Ihre Früchte werden auch als Hülsenfrüchte zusammengefasst. Jede Gattung umfasst wiederum sehr viele Arten, die ihrerseits zahllose Kulturvarietäten hervorgebracht haben, also durch Züchtung entstandene genetisch stabile Sorten. Der Weltweite Saatgut-Tresor Spitzbergen, der sich auf die Fahne geschrieben hat, auch für den kommerziellen Gebrauch unattraktive Sorten zu bewahren, enthält allein für die Art Phaseolus vulgaris (Gartenbohne oder Grüne Bohne) mehr als 40.000 verschiedene Kultursorten. Eine unvorstellbar lange Liste von Bohnensorten! Auch ohne Saatgut-Tresor gehören Bohnen und Erbsen übrigens zu den Höchstleistung-Saaten, die obendrein – auch außerhalb eines gekühlten Tresors – mehrere hundert bis zu zweitausend Jahre keimfähig bleiben.

Um es weiter zu komplizierten, gibt es für jede Sorte auch noch unzählige Synonyme. So fand ich für die oben Ackerbohne genannte Vicia faba die Namen Saubohne, Schweinsbohne, Pferdebohne, Viehbohne, Futterbohne, Puffbohne, Feldbohne, Fababohne, Faberbohne, Favabohne, Große oder Dicke Bohne. Sicher gibt es noch viele weitere regionale Namen! Der Anbau der ureigenst mitteleuropäischen Bohnengattung Vicia faba als Nahrung für Mensch und Tier ist seit etwa 3000 Jahren belegt – das ließ natürlich genug Zeit und Raum für die Entstehung von Synonymen.

In meinem Garten baue ich die amerikanische Bohnensorte Kentucky Wonder an, ein Kultivar der ursprünglich aus Mesoamerika stammenden Art Phaseolus vulgaris (Gartenbohne, Grüne Bohne, Schnittbohne, in Österreich Fisole). Diese läuft im englischen Sprachraum auch unter den Namen Old Homestead und Texas Pole. Sie wächst übrigens als Stangenbohne und muss gestützt werden, während andere Sorten niedrig als Buschbohne wachsen. Auch für die von mir gepflanzte chilenische als mittelgroße Reiserbohne wachsende Pepa de Zaballo habe ich noch einen weiteren Namen gefunden, Tiger Eye. Beide wenig überraschenderweise jeweils mit variablen Schreibweisen ... (vgl. die Schreibweisen von Faba Bohne) Wer neugierig ist: Der deutschsprachige Online-Bohnenatlas https://www.bohnen-atlas.de/ verzeichnet zum heutigen Datum 3.061 Bohnensorten samt Auflistung von deren verschiedenen Namen.

Kentucky Wonder Blüte und Fruchtansatz

Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen … - Beans, beans, the magical fruit …

Bohnen sind also sehr weit verbreitete Kulturpflanzen. Sie haben für die Ernährung einiges zu bieten (Proteine, Ballaststoffe, Eisen und Vitamine), bergen allerdings auch einige Nachteile (manche Bohnen enthalten Stoffe, die die Aufnahme wichtiger Mineralien im menschlichen Darm behindern; reife Bohnen enthalten hitzeempfindliche Toxine und müssen daher vor dem Verzehr erst gekocht werden).

Damit war ich schnell bei einem Phänomen gelandet, das sich nach dem Verzehr von Hülsenfrüchten einstellt und weltweit bekannt ist. Ich meine den im menschlichen Darm stattfindenden bakteriellen Abbau der in Leguminosen enthaltenen komplexe Zucker (Oligosaccharide), der sich nach dem Verzehr von Bohnen in vermehrter Gasproduktion und damit Blähungen äußert. Dieser hat in vielen Kulturen zu kulinarischen Gegenmaßnahmen geführt, die über einen würzenden Effekt hinaus zur Abmilderung der Gasentwicklung beitragen sollen. In Nordeuropa nutzt man bei der Zubereitung von Bohnen gerne Bohnenkraut (Satureja hortensis), im Mittleren Osten Kreuzkümmel (die Früchte der Pflanze Cuminum cyminum), in Japan des Seetangs Kombu (etwa Laminaria japonica) und in Indien das Pflanzenharz Asafötida (auch Teufelsdreck – in dieser Bezeichnung, die auf den außerordentlich strengen Geruch des Harzes anspielt, sind sich übrigens sehr viele Sprachen einig: Fee, fie, foe, fum …).

Pupsliteratur

Und so fand ich bei einem Streifzug durch die Wikipedia endlich auch sie, die Pupsliteratur. Leider gibt es hierzu keinen deutschen Eintrag; die weiteren russischen, spanischen und französischen Beiträge sind nur sehr kurz und unergiebig. Wer aber Englisch versteht, kann sich unter dem Eintrag Flatulence humor (Blähungshumor) weiterbilden und erheitern lassen.

Da es sich um ein tendenziell eher mündliches Genre handelt, finden sich wenige alte schriftliche Quellen. Erstaunlich eigentlich, für so ein anregendes und ergiebiges Thema. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass pupsen in vielen Kulturen als unhöflich gilt, also schambehaftet ist. Was die schriftliche Verarbeitung natürlich bremst oder auf literarische Nischen beschränkt. Dies dokumentieren meiner Ansicht nach auch die spärlichen Einträge in der Wikipedia, die im Gegensatz zur offensichtlich weiten Verbreitung der mündlichen und bildlichen Pupsliteratur stehen. Die Komödien des Aristophanes scheinen aber als mündlichkeitsnahe Texte eine ergiebige Ausnahme zu sein. Für die englischsprachige Literatur werden Autoren wie Geoffrey Chaucer, Mark Twain und Herman Melville genannt. Freunde des leichten Humors werden hier sicher fündig werden und sich an den vielen Links erfreuen.

Mir selber fiel sofort Heinz Erhardt ein, mit dem in meiner Kindheit oft wiederholten „Es gibt Gerüchte, dass Hülsenfrüchte – in Mengen genommen – nicht gut bekommen. Das macht ja nichts, ich finde das fein, – warum soll man nicht auch mal ein Blähboy sein.“ (aus: „Gerüchte um Gerichte“, in: Das große Heinz Erhardt Buch, Goldmann, München 1970). Wurden in meiner Familie Hülsenfrüchte serviert, hieß es immer „Isst Du Erbsen, Bohnen, Linsen, fängt Dein Hintern an zu grinsen.“ Ähnlich heißt es in der Familie meines Mannes „Beans, beans, the magical fruit. The more you eat, the more you toot.” Die Fortsetzung hierzu lernte ich erst bei meiner Recherche zu Jack and the Beanstalk kennen: „The more you toot, the better you feel. So let’s have beans for every meal!“

Schließlich fand ich auf der Wikipedia-Seite zum Flatulence humor noch die folgende Kategorie, die zunächst mich und dann auch die Gäste meines Afternoon Teas sehr erheitert hat, die schuldzuweisenden Äußerungen (original: inculpatory pronouncments, Sprüche zur Schuldumkehr). Ein Blick auf die angebotene Liste und ich wusste sofort, was gemeint war, denn folgender weit verbreiteter Spruch war zu meiner Schulzeit die Standardantwort auf die erboste Frage, wer denn wohl gepupst habe: „Wer es zuerst gerochen, dem ist es ausgekrochen!“

Die Wikipedia-Seite ist wunderbar ergiebig; unter den sich reimenden Juwelen fand ich auch das mir schon durch meine australische Familie bekannte „Them that smelt [für: smelled] it dealt it.“ (dt. Wer es gerochen hat, hat es ausgeteilt.) Weitere hübsche Beispiele sind:

„They who… /Whoever… Die es …/Wer auch immer es …

 

…detected it ejected it.“ (dt. … entdeckt hat, hat es ausgeworfen.) /

 

…sang the song did the pong.“ (dt. … das Lied gesungen hat, hat den Mief gemacht.) /

 

…denied it supplied it.“ (dt. … es abgestritten hat, hat es geliefert.) /

 

…sensed it dispensed it.“ (dt. … es gespürt hat, hat es ausgeteilt.)

 Schön fand ich auch:

„Whoever's poking fun is the smoking gun.” (dt. Wer drüber witzelt, ist die rauchende Waffe.)

Außerdem: „The smeller's the feller (für: fellow).” (dt. Der es riecht ist der Typ/derjenige, welcher.)

Und wer schlagfertig sein will, kann antworten: „They who said the rhyme did the crime.“

(dt. Wer den Reim gesagt hat, hat es verbrochen.)

Aber auch ein lakonisches „Self report!“ (dt. Selbstanzeige!) hat mir gefallen. So etwas werde ich sicher etwas in mein Morning Tea Event über Oscar Wildes spritzige Komödie „Ernst sein ist alles“ einbauen, weil es da sprachlich um das Thema Schlagfertigkeit geht.

Wer hätte gedacht, dass die Recherche zur schlichten Bohne so ergiebig und lustig sein könnte! Wie der jüngst verstorbene Jim McKoll (schottischer Gartenspezialist, Autor und langjähriger, liebenswerter und zugleich praxisnaher Fernsehgärtner der BBC-Serie Beechgrove) zu sagen pflegte: „Every day is a school day.“ Auch, oder vor allem, für Lehrende.

Stunt-Huhn bei den Probeaufnahmen

PS Wer sich ohne Erwerb eines Fachbuches über Kognaten belesen möchte: Die englische Wikipedia hat hierzu eine recht umfängliche Liste von Gotisch bis Hethitisch, leider ohne deutsche Beispiele (Schlagwort: Indo-European vocabulary). Den Begriff indoeuropäisch führte übrigens der deutsche Sprachwissenschaftler Franz Bopp 1838 ein, weswegen es verwunderlich ist, dass die deutsche Wikipedia ihre Beispiele unter dem weniger gebräuchlichen Begriff Liste indogermanischer Wortgleichungen angibt … Auch dort lohnt es sich zu stöbern bei einer vergnüglichen Reise ins kognative Kaninchenloch!

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Episode 3 English: Don't care a fig, ahm, bean?

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Episode 2 English: Beware of spelling aids and text prediction!